Die verdammten Nachbarn

Bericht der Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 03.04.2012

Vergessen Sie Dortmund gegen Schalke, die Mutter aller Derbys heißt Sarstedt gegen Ruthe.
Warum, das lesen Sie hier…..

Sarstedt (tbr). Dortmund gegen Schalke, Bayern gegen 1860, HSV gegen St. Pauli – vergessen Sie‘s! Die Mutter aller Fußball-Derbys heißt FSV Sarstedt gegen FC Ruthe. Gerade mal 100 Meter Luftlinie liegen die Sportplätze der Rivalen auseinander.

 

Die Ruther Kicker hätten sich bequem im eigenen Klubhaus umziehen können und über die Straße zum Derby spazieren können. Dass der FSV-Platz ausgerechnet an der Ruther Straße und sogar näher am Ortsteil Ruthe liegt als die FC-Spielstätte, sind weitere Pikanterien dieser außergewöhnlichen Beziehung.

Und dass der kleine FC Ruthe dem großen Nachbarn auf dem Fußballfeld regelmäßig den Schneid abkauft, wurmt die FSVer natürlich mächtig. Das Hinrundenspiel in der Leistungsklasse hatten die Ruther mit 2:0 gewonnen – und im Rückspiel am Sonntag rettete erst ein Elfmeter in der Nachspielzeit die Sarstedter vor einer weiteren Schlappe (siehe unten Spiel der Woche). Um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen: Die Stadt Sarstedt hat 15000 Einwohner, Ruthe 350. „Es ist schon erstaunlich“, wie wir im Konzert der Großen mitmischen“, sagt Walter Drescher.

 

Zusammen mit seinem Cousin Udo Drescher war er 1980 einer der Gründungsväter des Klubs. „Wir waren eine wilde Ansammlung von Freizeitfußballern“, erzählen die beiden. „Bei der FSV und in Schliekum wollten sie uns nicht, also haben wir einen eigenen Verein gegründet.“ Damals haben sie in Sarstedt noch milde gelächelt: „Euch gibt es sowieso nicht lange“, hieß es. Inzwischen gibt es den FC Ruthe schon 32 Jahre – und beim großen Nachbarn lächelt niemand mehr, denn die Fußballzwerge von nebenan sind längst zu einem sehr ernstzunehmenden Konkurrenten geworden.

Von der damaligen 4. Kreisklasse haben sich die Ruther stetig hochgearbeitet. Höhepunkt war der Aufstieg in die Leistungsklasse im vergangenen Jahr. 280 Mitglieder zählt der FC derzeit, neun Mannschaften befinden sich im Spielbetrieb. „Die Leute haben halt schnell erkannt, dass wir ein kleiner Verein mit Herz sind, wo alte Werte wie Kameradschaft und Hilfsbereitschaft noch etwas zählen“, sagt Walter Drescher.

 

Vor wenigen Wochen mussten die Ruther einen schweren Schlag verkraften: Ihr Torwart Dennis Sturm verstarb plötzlich und unerwartet. Ihm zu Ehren haben die FC Fußballer Trikots anfertigen lassen. Aufschrift: „Du bist nicht mehr da, wo du warst, aber Du bist überall, wo wir sind.“

Das nötigt auch dem großen Nachbarn Respekt ab. „Es ist bemerkenswert, wie die Ruther diesen Schicksalsschlag verarbeitet und was sie auf die Beine gestellt haben“, sagt FSV-Coach Matteo Menchise. Gleichwohl möchte er den kleinen Dorfverein nur allzu gern abhängen:„Wir haben vor dieser Saison 13 neue Spieler bekommen. Logisch, dass noch nicht alles rund läuft“, meint Menchise. Aber im nächsten Jahr will er zum Großangriff blasen: „2013 wollen wir in die Kreisliga aufsteigen, da gehört eine Stadt wie Sarstedt mindestens hin.“

Manchmal haben die FSVer sogar ganz große Träume. So wurde am Sonntag auf der Vereins-Homepage ein neuer sportlicher Leiter vorgestellt. „Ex-Bayern-Profi Christian Ziege übernimmt ab Sommer das sportliche Zepter in Sarstedt“, hieß es da. Es war – natürlich – ein Aprilscherz.
So müssen sich die FSVer noch eine Weile mit den widerspenstigen Kickern aus dem kleinen Vorort herumärgern. Irgendwie sind sie zur Nachbarschaft verdammt – selbst in der Tabelle: Sarstedt ist Vierter, Ruthe Fünfter. Bei aller Rivalität haben sie eines gemeinsam: Auf den TuSpo Schliekum, der drei Klassen höher spielt, sind sie beide nicht gut zu sprechen: „Sollen die mal in der Landesliga kicken, in Schliekum zählt doch nur das Geld.“

Das Spiel der Woche

Sarstedt – Ruthe 1:1 (0:1)

Sarstedt (tbr). Hendrik Tilly war der unglücklichste Mensch auf dem Sarstedter Fußballrasen. Es lief die Nachspielzeit im Leistungsklassen-Derby zwischen der FSV Sarstedt und dem FC Ruthe. Es stand 1:0 für die Gäste. Aus lauter Verzweiflung droschen die FSV-Kicker das Leder ein letztes Mal hoch in den Strafraum. Plötzlich schnellte eine Hand nach oben und wehrte den Ball ab. „Ich wollte das gar nicht, ein komischer Reflex“, meinte Unglücksrabe Tilly hinterher. Der Sarstedter Alexander Garve kannte kein Mitleid und drosch den Strafstoß zum 1:1-Endstand in die Maschen.

 

„Das war unglücklich“, meinte FCR-Coach Ferit Yalcin, aber er räumte ein, dass das Remis unter dem Strich ein „gerechtes Ergebnis“ sei. Da hatte er nicht ganz Unrecht: Die Sarstedter waren insgesamt das etwas spielstärkere Team. Philip Rudzinski vergab in der 22. Minute die größte Chance zur Führung. Die Ruther hielten mit Kampf und Einsatz dagegen – und waren vornehmlich bei Standards gefährlich. So auch kurz vor der Pause, als Dawie Ferhan einen Eckball von Tim Kuijpers zum 0:1 einköpfte.
Nach dem Wechsel erhöhte die FSV den Druck. Vor allem der starke Selcuk Cetin leitete viele gefährliche Angriffe ein. Er leistete sich in der 70. Minute allerdings einen Lapsus, als er den Ruther René Brautschek brutal umsäbelte. Mit Gelb-Rot war Cetin noch gut bedient.
Doch auch zu zehnt blieben die Gastgeber tonangebend. Ruthe verstand es nicht, die Kontergelegenheiten zu nutzen – und wurde dafür in der 91. Minute bestraft.

 

 

 

FSV Sarstedt:
Marc-Oliver Sniady – Tilo Neumann, Alexander Garve, Selcuk Cetin, Benjamin Bothe, Mustafa Öztürk, Viktor Rosenfeld, Sebastian Hütte,  Monir Omeirat, Philip Rudzinski, Dawid Rudzinski;
eingewechselt: Maximilian Hanke, Marvin Schmidtmer, Timo Wulfhorst.

FC Ruthe:
Hendrik Grzeschik – Adrian Peiters, Kevin Goldammer, Björn Schnabel, Sebastian Plage, Bastian Scheel, Hendrik Tilly, Timo Hanse, Celal Boran, Dawie Ferhan, Tim Kuijpers;
eingewechselt: André Kowald, Julian Kregel, René Brautschek.

Tore: 0:1 Dawie Ferhan (22.), 1:1 Alexander Garve (Handelfmeter/91.).

Schiedsrichter: Cederic Reichel (Ahrbergen);

Zuschauer: 150.